Schlimme Worte


Der Armin ist zwar nicht mehr der Jüngste, aber immer noch topfit. Immerhin war er einmal Olympiateilnehmer. Im Dorf ist man stolz auf ihn. Er gehört zur besseren Gesellschaft und sorgt als Sportlehrer am örtlichen Mädchengymnasium für Körperertüchtigung. Daß Lehrer Armin seinen Schutzbefohlenen nach dem Schwimmunterricht nicht nur beim Duschen hilft, ihnen auch sonst dann und wann etwas näher kommt, ist bekannt und stört niemanden. Das eine oder andere Mißgeschick kann dabei schon mal vorkommen. Armin hat seine Badehose verloren. Beim Sprung vom Zehnmeterturm.


Die knospenden Teenies finden das lustig und Armin ausgesprochen sexy. Mit einer Ausnahme, und die heißt Saskia. Sie ist erst kürzlich mit ihrer alleinerziehende Mutter zugezogen, das Verhältnis zwischen den beiden gespannt. Weißt Du, was mein wirkliches Problem ist? Mein Problem ist, daß du immer recht hast, und ich dafür die Rechnung zahle.


Frau Brunner ist fassungslos, als sie von ihrer Tochter von den Grapschereien des Sportlehrers beim Turnunterricht erfährt und wendet sich empört an die Dienstaufsicht, wo sie freilich als Reingeschmeckte einen schweren Stand hat. Armin? Ein Prachtskerl, nicht wahr? Wäre er ein Sauhund, wüßten wir das.


Urs Odermatt folgte inhaltlich bei der Verfilmung von Der böse Onkel seinem provokativen Theaterstück. Folglich handelt es sich dabei auch nicht um ein Betroffenheitsmelodram im Stil eines deutschen Fernsehspiels. Mit minimalem Budget drehte Odermatt ein filmisches Pamphlet gegen die allgemeine Verdrängung, wobei er sämtliche Spielarten der filmischen Möglichkeiten ausnutzte. Ich glaube nicht, daß es schlechte Witze gibt. Es gibt nur schlecht getimte Witze. Ich versuche alles, wovon andere Kollegen die Finger lassen, bei mir einzubauen und so zu bauen, dass es funktioniert. Manchmal ist es nur ein Feld, eine Vierundzwanzigstelsekunde. Wenn sie drin ist, stürzt es ab. Wenn ich sie wegmache, geht es vielleicht.


Nicht nur vielleicht. Urs Odermatt kennt kein Pardon gegenüber den allesamt bösartigen Protagonisten seiner Handlung. Auch das Nymphchen Saskia ist ein Biest. Nicht nur der eigentliche Täter ist schuldig, sondern die gesamte verkommene Gesellschaft. Der perfekt inszenierte und vor allem montierte Film verstört und entläßt das Publikum betroffen aus dem Kino. Auch in der frischen Schweizer Bergluft von Solothurn läßt einen Der böse Onkel lange nicht los.


Odermatts Umgang mit einem moralischen Abgrund macht deutlich, daß dafür nur unkonventionelle filmische Ausdrucksmittel taugen, um den Kern zu treffen. Noch einmal Urs Odermatt: Ich lasse keine Grenzen zu in der Komplexität des Rätsels, das ich entwickle, gleichzeitig lasse ich keine Grenzen zu in der Sattheit der Griffe in die unterste Schublade der Kolportage. Das heißt, alles ist erlaubt. Außer schlecht. Und schlecht ist bei mir definiert durch Nicht-konsequent-gemacht. Und die Konsequenz durch den Bau, durch die Form, durch den Rhythmus, durch das Tempo.


Das Ergebnis überzeugt. Es ist zu hoffen, daß sich auch in Deutschland ein mutiger Verleiher findet, der diesen außergewöhnlichen Film in unsere Kinos bringt.

Herbert Spaich

Der böse Onkel, Spielfilm, Urs Odermatt.
Urs Odermatt, Herbert Spaich, Spielfilm